"Einfach" frei, reich und erfolgreich?!?

Die Symphonie der Versprechungen

von David Luczyn


Endlich! - Vorbei die Zeiten, wo man sich für Reichtum anstrengen oder gar arbeiten musste, für die Gesundheit disziplinieren, fasten oder Diäten machen musste, für Glücklichsein gar verzichten oder Glück haben musste, für Erleuchtung zu Füßen eines Meisters sitzen oder jahrelang meditieren musste, denn glaubt man den verführerischen Titeln des Büchermarktes ist alles in Minuten ganz einfach zu haben. Entweder durch die magische Kraft der Wünsche, dem „Gesetz der Resonanz“ bzw. Anziehung oder gleich durch direkte „Bestellung beim Universum“. Eine andere Variante sind die zahllosen angeblich entschlüsselten „Codes“ wie der „Gottescode“, aber dazu später mehr.

Die jung und überraschend verstorbene Bärbel Mohr hat vor ca. 10 Jahren unabsichtlich (oder zufällig) die beispiellose Welle der „Wünsch-dir-was-Bücher“ losgetreten und ist damit selbst zur reichen Bestsellerin und Wunschqueen geworden.
Dabei hat bei genauerem Hinsehen das gleiche Prinzip schon mal vor Jahrzehnten durch Dal Carnegie und Napoleon Hill als „Positives Denken“ sehr erfolgreiche Runden gedreht.
Nichtsdestotrotz schien die Zeit wieder reif und die Sehnsucht nach einfachen Glücksrezepten wieder groß zu sein.
Überrascht von dem Erfolg des kleinen Außenseiterbuches, das so locker und flockig daher kam, folgten konsequenterweise ein Übungsbuch, um noch besser „den direkten Draht nach oben zu aktivieren“ und für alle, die es bisher nicht geschafft haben, „Die 21 goldenen Regeln“. Wer es dann immer noch nicht geschnallt hatte, bekam „Nachhilfe in Wunscherfüllung per Reklamation!“

Nun sollte man eigentlich meinen jetzt sei wirklich alles gesagt, aber nein, der Schauspieler-Lausbub Pierre Franckh betritt die Bücherbühne und wiederholt alles noch mal. Sein magisches Zauberwort ist „einfach“. Sein bahnbrechender Einstieg war „Wünsch es dir einfach!“ und wie schon bereits zuvor Bärbel Mohr, schaffte er es daraus sechs Folgebücher und CD´s aus dem Ärmel zu schütteln:
„Wünsch es dir einfach - aber richtig!“
„Wünsch es dir einfach - aber mit Leichtigkeit!“
„Wünsch es dir einfach - Affirmationen“
„Wünsch es dir einfach - Tag für Tag“
dazu „7 Regeln wie Träume wahr werden“ und 6 Jahre später noch mal „Die 77 erfolgreichsten Wunschregeln“ - 7 haben anscheinend doch nicht gereicht.

Aber es geht noch besser: Rhonda Byrne bringt das Erfolgsgeheimnis schlechthin, das angeblich Große Geister wie Platon, Leonardo da Vinci und Einstein schon kannten in Form von „The Secret“ auf den Markt und es wird ein weltweiter Megaseller. Sie propagiert und „enthüllt“ das universelle „Gesetz der Resonanz“ zum Urgesetz der Wunscherfüllung und löst die nunmehr dritte Welle aus, die alles vorher da gewesen in den Schatten stellt und ein halbes Dutzend Nachahmer, inklusive Rüdiger Dahlke nach sich zieht.

Jetzt muss ich allen Ernstes mal fragen, ob hier noch alle an den Weihnachtsmann glauben oder ob das innere Kind in uns uns so anfällig macht für dieses „wünsch-es-dir-einfach-Theater“? Es scheint, die Magie liegt in der Sehnsucht begründet, das Leben möge doch so einfach und leicht sein, gerade weil die Realität der meisten von uns schwierig, anstrengend, frustrierend und mühsam ist. Da erliegt man schnell solchen von PR-Abteilungen kreierten Locktiteln. Sie bedienen einfach und konsequent einen Markt und eine Sehnsucht, die verzweifelt sucht.

Ein weiteres Geheimnis dieser Wunschbücher sind die dutzenden „wahren Geschichten“, mit denen diese Resonanztheorien unter- bzw. belegt werden. Klar habe ich mir auch schon viel gewünscht in meinem Leben und ca. 10-20% davon ist auch irgendwann wahr geworden. Wenn ich meinen Fokus auf etwas lege, aktiviere ich automatisch meine selektive Wahrnehmung und irgendwann werde ich auch das Gewünschte (wenn es nicht zu unrealistisch ist) finden oder bekommen.
Aber ist das nun ein Beweis oder die Ausnahme? Beweis für zielorientiertes Denken und Handeln in jedem Fall. Aber was ist mit den Dutzenden von Wünschen, die sich nicht realisiert haben? Unter den Bewusstseinsteppich gekehrt? In den Tiefen des Wunschuniversums verschollen? Im Erdorbit kreisend mit Millionen anderer unerfüllter Wünsche wie zum Beispiel nach was Essbarem oder einem Dach über dem Kopf? Ich bin sicher, eine Untersuchung, die das Verhältnis von erfüllten zu unerfüllten Wünschen erfassen würde, wäre überproportional zugunsten der nicht erfüllten Wünsche.

Die „Code“-Welle rollt

Eine andere Welle, die über uns hinweggerollt ist bzw. noch rollt ist die „Code“-Welle:
Der Glückscode, der Gefühlscode, der Liebescode, der Quantencode und sogar der Gottescode. Plötzlich scheint alles codiert und wird nun laut Titel von kompetenter Seite dem kaufbereiten Leser entschlüsselt und verraten. Gott und die Liebe entcodiert: Wer wird da nicht neugierig? Geht's noch reißerischer? Oh, ja:
Auch die „Lebensformel für Gesundheit, Glück und Freiheit“ wurde von Roy Martina entdeckt und in seinem Buch auf den Punkt gebracht. Weitere Locktitel toppen und floppen sich gegenseitig:
„Der mühelose Weg zu Wohlbefinden und Glück“ - „Sorgenfrei in Minuten“ - „Denk dich reich“ - „Klopf dich reich“ usw. .... und nach „The Secret“ gibt's nun natürlich noch konsequenterweise „The Deeper Secret“
Die PR-Abteilungen der Verlage geben ihr bestes. Erste paradoxe Gegentitel tauchen nun auf: „Suche nichts - finde alles“
Bei soviel geknackten Codes und veröffentlichten Geheimnissen wundert es mich, dass noch immer so viele Menschen krank, erfolglos und unglücklich sind. Selbst wenn nur 50% der Leser dieser Enthüllungs- und Erfüllungsliteratur glücklich, frei und aufgewacht wären, müsste das doch jemand bemerkt haben?

Mein Fazit nach entsprechender Lektüre und 30 Jahren Erfahrung in der „Szene“ ist ernüchternd: Fast alles ist mehr oder weniger „Alter Wein in neuen Schläuchen“ also altbekannte Weisheiten in neuer goldener Lockverpackung. Wer Murphy, Napoleon Hill und Freitag kennt, hat das alles schon mal in ähnlichen Formen gehört, nur das die Brise Geheimnis und Entschlüsselung noch hinzugefügt wurde bzw. das Wörtchen „einfach“ oder „leicht“.

Wenn Dir also mal wieder ein Buchttitel den „entscheidenden Schritt zum letzten Geheimnis der Wunscherfüllung“ verspricht, dann mach es wie Penny McLean es fordert:
„Lass los, was dich festhält!“

PS: Zur Klarstellung (um Missverständnisse zu vermeiden): Ich kannte Bärbel Mohr persönlich und schätze sehr ihre optimistisch, authentische und frische Art. Sie hat viele Menschen inspiriert und viel bewegt (auch bei mir, wenn auch mit anderen Themen). Pierre Franckh kenne ich nicht persönlich, aber er ist bestimmt ein interessanter Typ. Dummerweise sind ausgerechnet die Verleger von Pierre und Bärbel Freunde von mir, die ich sehr schätze, was es mir nicht leicht gemacht hat, dies zu veröffentlichen. (Danke an Konrad Halbig für das erfrischend offene Gespräch.)
Mich ärgert, dass auch der esoterische Büchermarkt genauso funktioniert, wie das Marketing von Schönheitscremes, Diätprodukten und anderen Konsumartikeln: man wird durch unrealistische Versprechungen verführt, etwas zu kaufen und ist früher oder später enttäuscht. Wer ist da Schuld? Der Verführer oder der Verführte? Ich würde sagen beide Seiten. Desillusionierung kann dich deprimieren oder befreien, ernüchtern oder viel Geld sparen. Es liegt wie immer nur an dir selbst.
Ich persönlich bin nach 30 Jahren Eso-Szene, die mich lange inspiriert hat, ernüchtert in der Realität angekommen. Es ist nicht alles wahr was geschrieben steht und nicht alles Gold was so glänzt. Viel alter Wein in neuen Schläuchen. Nichtsdestotrotz: während ein großer Teil in mir auch bei der 2012-Hype den Kopf schüttelt, hofft ein kleiner Teil doch noch, dass der Durchbruch in harmonisch lichtvolle Dimensionen kommen möge. So wie die Welt gerade den finanziellen und ökologischen Bach runter zu gehen scheint, ist es auch sonst kaum auszuhalten. Möge doch der Heilige Geist endlich uns alle retten oder wenigsten erleuchten. Om und Amen! 7977 Z.

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